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Weltweit einzigartige Langzeitstudie

Sonova fördert am VU University Medical Center in Amsterdam ein weltweit einmaliges Forschungsprojekt. In der seit bald zehn Jahren laufenden Langzeitstudie wird das Hörvermögen von Menschen verschiedener Altersklassen untersucht. Im Mittelpunkt steht die Frage nach den psychosozialen Folgen von Hörverlust, die ersten Ergebnisse sind wegweisend. 

Die Vrije Universiteit zählt mit ihren insgesamt zwölf Fakultäten und rund 24.000 Studierenden zu den renommiertesten Forschungseinrichtungen Europas. Die Ausmasse der Universität sind beeindruckend: Alle Areale zusammen umfassen mehr als 370.000 m².

Der Weg zum Arbeitsplatz von Mariska Stam im VU University Medical Center, der medizinischen Fakultät führt durch die Uniklinik über lange Gänge und verschiedene Stockwerke, einen Aufzug und mehrere Treppen. „Besucher hole ich immer direkt beim Empfang ab, sonst kommen sie nie bei mir an“, scherzt die 27-jährige Doktorandin. Sie ist Teil eines einmaligen Forschungsprojekts, das Sonova bereits seit September 2010 fördert. Wenn Stam von ihrer Arbeit spricht, gerät sie ins Schwärmen: „Ich kann mir keine interessantere Aufgabe vorstellen.“

Seit dem Jahr 2010 arbeitet Stam in der Forschungsgruppe von Professorin Sophia Kramer, die zum „EMGO Institute for Health and Care Research“ am Medizinischen Zentrum der Universität in Amsterdam gehört. Im Bereich Hörforschung zählt es zu den weltweit führenden Einrichtungen. Das Projekt, an dem Stam mitwirkt, ist einzigartig: Die „Netherlands Longitudinal Study on Hearing“ (NL-SH) ist eine Langzeit-Kohortenstudie, welche das Hörvermögen von Menschen in verschiedenen Altersklassen analysiert. Sie untersucht die psychosozialen Folgen von Hörverlust und zeigt, inwieweit Menschen mit Hörproblemen in die Gesellschaft eingebunden sind und welche Schwierigkeiten sie erleben. Die Ergebnisse dienen als Ausgangspunkt für weitere darauf aufbauende Studien in den Bereichen Diagnostik oder neue Technologien. Von der internationalen Forschung wurden die ersten Resultate bereits aufgegriffen und in wissenschaftlichen Arbeiten verwendet, etwa in den USA, Kanada, Deutschland oder dem Vereinigten Königreich. 

Ein Jahrzehnt Forschungsarbeit

Mehrere tausend Teilnehmer wurden befragt. Erwachsene mit und ohne Hörverlust nehmen teil und bieten die einzigartige Möglichkeit, Veränderungen der Hörfähigkeit über längere Zeit zu untersuchen. Geplant sind drei Erhebungen: Die ersten beiden Befragungen fanden in den Jahren 2006 und 2011 statt. Die dritte Erhebung ist für das Jahr 2016 geplant. Die Teilnehmer sind zu Beginn der Studie zwischen 18 und 70 Jahren alt und können sich für das Forschungsprojekt selbst anmelden. Die insgesamt 200 Fragen sowie der Hörtest werden dann von Zuhause aus online beantwortet.

Die direkte Zusammenarbeit und enge Partnerschaften mit führenden internationalen Forschungseinrichtungen sind Teil unserer Unternehmenskultur.

Ulrike Lemke, Senior Researcher in Sonova's Science & Technology department

„Die direkte Zusammenarbeit und enge Partnerschaften mit führenden internationalen Forschungseinrichtungen sind Teil unserer Unternehmenskultur“, sagt Ulrike Lemke, Senior Researcher in der Abteilung Science & Technology von Sonova, die für die Koordination der Forschungsprojekte zuständig ist. „Wir sind sehr daran interessiert, frühe Anzeichen und Verläufe von Hörbeeinträchtigungen zu verstehen, die Sorgen und Nöte der Betroffenen zu kennen und mehr über die Hörgerätenutzung von jüngeren und älteren Menschen zu erfahren. Wenn wir die Bedürfnisse und Erwartungen kennen oder sogar vorhersagen können, sind wir in der Lage, den Versorgungsprozess zu optimieren und noch bessere Hörlösungen anzubieten. Dazu wird diese Langzeitstudie beitragen.“

Wegweisende Resultate

Die vorliegenden Ergebnisse aus den ersten beiden Erhebungen sind sehr vielversprechend. Die Forscherinnen Kramer und Stam fanden heraus, dass Menschen mit schlechterem Sprachverständnis im Lärm mehr Probleme haben, einen Arbeitsplatz zu finden. Zudem sind sie meist weniger gut ausgebildet und haben ein geringeres Einkommen. „Besonders bei jungen und älteren Menschen mit Hörproblemen ist das Gefühl der Einsamkeit ein grosses Problem“, sagt Professorin Kramer. Im Unterschied dazu rücken in der Gruppe zwischen 50 und 60 Jahren dann depressive Tendenzen in den Vordergrund, Einsamkeit steht nicht mehr an erster Stelle. „In dieser Altersspanne ändert sich die Wahrnehmung der eigenen Situation. Hierzu müssen wir weitere Untersuchungen anstellen!“ 

Die zentrale Frage ist für unser Gesundheitsversorgungssystem, in welchem Alter wir unser Gehör überprüfen lassen sollten. Die Daten aus unserer Untersuchung werden eine Antwort liefern.

Sophia Kramer, Professorin

Im Vergleich zum Sehvermögen ist das Hören nach wie vor nicht ausreichend erforscht. „Ein Optiker kann Ihnen zum Beispiel ungefähr vorhersagen, in welchem Alter Sie eine Brille brauchen, oder wann Sie stärkere Gläser für Ihre Lesebrille benötigen werden“, erklärt Professorin Kramer. „Zur Abschätzung  des Hörvermögens für verschiedene Altersgruppen werden sogenannte ‚Verlaufskurven‘ als Orientierung genutzt. Die Datenbasis für diese ist jedoch dürftig und erlaubt nur sehr vage Angaben.  Die zentrale Frage ist für unser Gesundheitsversorgungssystem, in welchem Alter wir unser Gehör überprüfen lassen sollten. Die Daten aus unserer Untersuchung werden eine Antwort liefern.“ Das Hörvermögen der Befragten der Längsschnittstudie wurde innerhalb der ersten fünf Jahre um 0,4 dB schlechter. Aber nicht alle Altersgruppen seien gleichermassen betroffen, führt die Professorin aus: „Bis zum Alter von 50 Jahren ist die Veränderung linear, dann tritt eine plötzliche Verschlechterung ein. Das ist früher als erwartet und trifft die Menschen mitten im Arbeitsleben. Damit hatten wir nicht gerechnet!“ 

Fortsetzung der Zusammenarbeit

Unter welchen Krankheiten leiden die Befragten? Auch dazu werden die Teilnehmer der Studie befragt. Doktorandin Stam und Sonova Forscherin Lemke interessieren sich besonders für Patienten mit Mehrfacherkrankungen. „Es gibt Hinweise auf einen Zusammenhang zwischen Schwindel und Hörproblemen, oder auch zwischen Diabetes und Schwerhörigkeit. Wir glauben auch, dass die Medikation zum Beispiel bei Diabetes Einfluss auf die Hörfähigkeit hat“, erklärt Stam. „Da müssen wir weiter forschen: Welche Zusammenhänge gibt es zwischen den gleichzeitig auftretenden Krankheiten? Welche Mechanismen stecken dahinter?“ „In der Praxis der Versorgung von Hörbeeinträchtigungen ist es zudem wichtig, zu wissen, welchen Stellenwert die Schwerhörigkeit für jemanden hat und welche zusätzlichen Schwierigkeiten, zum Beispiel aufgrund von visuellen oder taktilen Problemen, die Benutzung von Hörgeräten erschweren könnten“, ergänzt Lemke. 

Ich denke, dass wir mit solchen anwendungsbezogenen Forschungsprojekten wichtige Daten liefern, die zeigen können, wie die Behandlung von psychosozialen Folgen von Hörverlust im Optimalfall verlaufen sollte.

Mariska Stam, Doktorandin

Sonova fördert die Langzeitstudie auch in der dritten Projektphase (2015-2018), in der die nächste Befragung der Teilnehmer stattfindet. So wird der enge Kontakt und Austausch zwischen der Abteilung Science & Technology von Sonova und dem VU University Medical Center in den kommenden Jahren weiter vertieft. Neben Professorin Kramer und Stam arbeitet seit Januar 2015 zusätzlich ein neuer Doktorand am Projekt mit. Stam war schon zwei Mal in der Sonova Unternehmenszentrale am Zürichsee zu Gast. „Eine tolle Erfahrung! Vor dem Hintergrund meiner Fragestellungen und Forschungshypothesen ist es sehr interessant zu sehen, an welchen Entwicklungen die Hörgeräteindustrie gerade arbeitet“, sagt Stam. „Umgekehrt denke ich, dass wir mit solchen anwendungsbezogenen Forschungsprojekten wichtige Daten liefern, die zeigen können, wie die Behandlung von psychosozialen Folgen von Hörverlust im Optimalfall verlaufen sollte.“