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«Die Stille ist so schön, seit er hören kann»

Ein kurzer Film von Sonova zeigt Abdel bei einem fröhlichen Ausflug im Libanongebirge. Mit seinen Hörgeräten ist der syrische Flüchtlingsjunge Teil der Welt, die ihn umgibt mit all ihren wunderbaren Geräuschen. Die Autorin Nadja Einzmann hat sich von Abdels Verzauberung anstecken lassen und sie in Poesie verwandelt.

Stille kann schön sein. Sie kann so schön sein wie das Singen der Vögel in diesem geheimen Garten im Libanongebirge, so schön wie das Summen der Bienen, die sich mit den Blüten der Zistrosen und der Wolfsmilch vergnügen. So schön wie der Duft der Pinien, wie der nadelbedeckte Weg unter seinen Füßen und der Ausblick von den Felsen ins Tal. Die Stille ist so schön, seit er hören kann, seit es die Stille ist zwischen einem Vogelruf und dem nächsten, seit die Bienen in aller Stille in den Blüten nach Nektar suchen, um dann wieder so ausgelassen summend aufzusteigen als wären sie wie er hingerissen von diesem einmaligen Tag. Ihm erscheint es, als müsste sich an diesem Tag einfach alles in Feierstimmung fühlen, als sänge selbst die Rinde unter seinen Fingern, als vibrierte der Weg und die kleine Brücke so gutgelaunt unter seinen Füßen wie eine Geige, deren Bogen ein Meister führt. Nichts, gar nichts erinnert ihn hier an Beirut, dabei liegt es vielleicht nur eine Stunde entfernt drunten am Meer, nichts erinnert ihn hier an früher, an Syrien, wo die Stille manchmal genauso bedrohlich wirkte, wie das leichte Zittern der Wände oder der angespannte Ausdruck im Gesicht der Mutter. Dieser Garten ist heute sein Märchengarten, einer, in dem er gerne verloren gehen würde, einer in dem die Bienen ihren Honig für Kobolde sammeln und die Blätter unter seinen Füßen so verheißungsvoll rascheln, als hätten sie jede Menge unerhörter Geheimnisse.

ztez

Die Autorin Nadja Einzmann wurde 1974 geboren und lebt in Frankfurt am Main. Sie hat Gedichte und zwei Bände mit Erzählungen veröffentlicht.

Ihre Geschichten handeln von kleinen und grossen Gefühlen. Nadja Einzmanns sensibel gezeichneten Porträts verraten nicht nur etwas vom Leben, das uns umgibt, sondern auch von unserem eigenen und vom Leben selbst.

„Abdel ist noch so jung und hat schon so viel Schlimmes erlebt. Man kann es gar nicht genug bewundern, wie offen und begeisterungsfähig er trotz allem ist.“