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Zehntausend Hörtests in Südafrika – per App

In Südafrika kommt eine App zum Einsatz, die es Laien erlaubt, Hörscreenings durchzuführen. Die Hear the World Foundation, eine Initiative der Sonova Gruppe, unterstützt das Projekt, um die audiologische Versorgungslücke schliessen. Dabei helfen freiwillige Sonova-Experten vor Ort bei der Umsetzung von 10.000 Screenings.

 

„Kannst du mich hören? Klingt das gut? Beide Daumen hoch!“ Das kleine Mädchen mit dem wirren Lockenkopf strahlt, hebt die Daumen. „Super“, sagt die Frau vor ihr. „Wie wäre es mit einem Highfive? Ok, du hast es geschafft!“

Lindsay Roberts ist Sonova Mitarbeitende und Volunteer der Hear the World Foundation am Carel du Toit Centre, einem karitativen Audiologie-Zentrum in Südafrika. Hier lernen Kinder aus Armenvierteln, die Hörverlust haben, Sprechen und all das, was sie später einmal benötigen, um sich wie Normalhörende in die Gesellschaft integrieren und ihr Leben meistern zu können. Nie hätte Roberts gedacht, dass ihre Tätigkeit sie so positiv beeinflussen könnte. Aber letztlich war es für sie eine „unglaubliche Erfahrung, den Kindern dieses Geschenk zu geben. Zu wissen, dass wir ihnen ermöglichen sprechen zu lernen, bedeutet mir sehr viel.“

 

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Und sie kann wieder hören! Eine Sonova Mitarbeiterin im Einsatz für die Hear the World Foundation freut sich mit einer Schülerin über die erfolgreiche Anpassung eines Hörgeräts.

Roberts Job ist Teil des Hilfsprojekts „HearSouthAfrica“. Ziel: Hörtests bei Schulkindern durchzuführen und Bedürftige mit Hörgeräten zu unterstützen. Auch Stefan Launer, Senior Vice President Science & Technology von Sonova, war vor Ort, um bei den Tests zu helfen und sich einen Eindruck von dem Projekt zu verschaffen. Er war nicht nur von einem sehr herzlichen Empfang beeindruckt: “Die Menschen dort haben einen festen Willen, sich selbst zu helfen.” Als Launer vor Ort war, sangen ihm die Kinder ein selbst gedichtetes Lied vor: “Ich habe ein Recht auf Essen, ein Recht auf Sauberkeit, ein Recht auf Arztbesuche, ein Recht auf Schutz, ein Recht, gehört zu werden...” “Und wir haben ihnen bewusst gemacht, dass sie auch ein Recht zu hören haben!”, sagt Launer.

Eines der grössten Problemen Südafrikas ist die riesige Kluft zwischen Arm und Reich – und der fehlende Zugang zu medizinischer Versorgung für Bedürftige. Die Region Western Cape etwa ist so gross wie die Schweiz und auf dieser riesigen Fläche gibt es nur ein Krankenhaus. “Das ist, als ob man von Zürich nach München reisen müsste für einen Hörtest”, sagt Stefan Launer. “Und das in einem Land ohne öffentlichen Verkehr und Geld für Essen.” Zudem bedeutet die Reise mindestens einen Tag ohne Arbeit – und damit einen hohen Einkommensverlust.

 

Eine Screening-App gegen die Armut

Deshalb sollen jetzt auch die Kinder in den Wellblechhütten der Slums die Chance auf Hörscreenings bekommen. Um die Versorgungslücke zu schliessen, arbeitet die Hear the World Foundation eng mit der HearX Group zusammen, die eine App für Hörscreenings durch Laien entwickelt hat. Denn die Südafrikanische Regierung hat 2012 zwar ein Programm für obligate Hörtests für alle Schulkinder lanciert. Die Umsetzung funktioniert aber nicht reibungslos: Es fehlt an Audiologen undkostspieligem Equipment. Die hearX Group hat mit ihrer App, die von Laien genutzt werden kann, eine Lösung für diese Probleme geschaffen. Früherkennung und rechtzeitige Behandlung von Hörverlust sind die Ziele des Projekts: Von 2017 bis 2019 pro Tag 50 bis 100 Vorschulkinder in Townships bei Kapstadt und Pretoria screenen, 10.000 insgesamt.

 

Was mich am meisten bewegt hat, war die Reaktion der Kinder, nachdem sie die Hörgeräte bekommen haben. Alle sind richtig aufgeblüht und waren unglaublich dankbar.

Michael Kremers, Sonova Freiwilliger (Geers Deutschland)

Seit Juli 2017 ist die App nun in mehreren Townships bei Johannesburg mit rund 1,4 Millionen Einwohnern sowie in einem Township bei Kapstadt mit rund 2,5 Millionen Einwohnern im Einsatz.

Um die Anpassung kümmerte sich im Sommer 2018 ein Freiwilligen-Team aus vier Sonova Mitarbeitenden, die für die Hear the World Foundation im Einsatz waren: Tessie Kirunda von Boots Hearingcare aus Grossbritanien, Lindsay Roberts und Natalye Faison von Phonak aus den USA und Michael Kremers von Geers aus Deutschland. „Was mich am meisten bewegt hat, war die Reaktion der Kinder, nachdem sie die Hörgeräte bekommen haben. Alle sind richtig aufgeblüht und waren unglaublich dankbar“, sagt Michael Kremers, Hear the World Volunteer und Sonova-Mitarbeiter bei Geers in Deutschland.

Zur Vorbereitung des Projekts wurden zunächst die teilnehmenden (Vor-)Schulen  ausgewählt. Ganz einfach war das nicht, erzählt Stefan Launer, der das Projekt mit vorangetrieben hat: An den einzelnen Schulen musste die Bereitschaft für die Teilnahme da sein. Dass die Eltern eine schriftliche Einverständniserklärung abgeben müssen, war eine weitere Hürde: Schliesslich können nicht alle Eltern im Slum lesen oder schreiben.

 

App ermöglicht Hörtests durch Laien

Dabei ist es für die Entwicklung von Kindern enorm wichtig, ein geschädigtes Gehör frühzeitig zu erkennen: Je früher eine Hörminderung erkannt und behandelt wird, umso bessere Chance haben die Kinder, sich altersgerecht zu entwickeln. Andernfalls haben sie grosse Probleme, sprechen zu lernen. Sie können dem Unterricht nicht richtig folgen oder gar keine Schule besuchen. Das ist für Kinder aus Familien mit geringem Einkommen fatal: Es droht ein Leben mit Einschränkungen und gesellschaftlicher Isolation.

Zwar hat die südafrikanische Regierung 2012 ein obligatorisches Hörtest-Programm für Schulkinder eingeführt, aber die Umsetzung lief nicht nach Plan – es fehlte an Experten. Zum Vergleich: In Südafrika gibt es durchschnittlich 2,4 Audiologen pro 100.000 Einwohner, in Grossbritannien beispielsweise sind es 16,4. Zudem fehlen dem afrikanischen Staat die Mittel für das audiologische Equipment. Deshalb hat die hearX Group die besagte App entwickelt. „hearScreen“ ist so konzipiert, dass Laien ohne audiologische Kenntnisse die Hörtests durchführen können. Sie brauchen dafür lediglich ein spezielles Smartphone, einen Kopfhörer, eine kleine Schulung. Und: Die Kosten für die Hörtests werden um 50 bis 70 Prozent gesenkt. „Mobile Health, also die Unterstützung der Gesundheitsversorgung durch Geräte wie Smartphones oder Tablets oder persönliche digitale Assistenten, ist ein Zukunftsthema”, erklärt Stefan Launer. “Und diese App ist ein Paradebeispiel dafür, welche Möglichkeiten diese Technik bietet.”

Besser hören – und damit Jobs schaffen

Entscheidend ist, dass Einheimische die Tests machen: Sie kennen sich in den Slums aus, können potenziell gefährliche Situationen gut einschätzen und sprechen die afrikanischen Sprachen. Für diese Menschen bedeutet ihr Einsatz für HearSouthAfrica viel: Sie leisten einen Beitrag zu ihrer Gemeinschaft und finden so einen Weg aus der Arbeitslosigkeit. „Die Screenings schaffen Jobs, schulen die Menschen aus armen Communities und machen sie so selbstbewusst, stolz und zuversichtlich”, sagt Stefan Launer. “Es war wunderbar, ihren Enthusiasmus und Engagement zu erleben.”

„Ich war lange arbeitslos und bin glücklich, Teil dieses Projekts zu sein, weil es das Leben der Kinder hier verändert“, sagt die Sozialarbeiterin Ntombi Ndzunga. Ein kleines Mädchen mit einem langen Zopf sitzt vor ihr, und zählt laut vor: „zwei, drei, vier, fünf, sechs…“. Ihre Mutter sitzt mit im Zimmer. „Erst kamen mir die Tränen, weil ich dachte, dass mein Mädchen taub ist“, sagt sie. „Aber heute sind es Freudentränen, weil sie Musik hören und sprechen kann.“

 

Nachversorgung als wichtiger Baustein

Die App ist nur der erste Puzzlestein: Wird bei einem Kind ein Hörverlust diagnostiziert, folgt ein zweiter Test mit der «hearScreen»-App, um das erste Ergebnis zu bestätigen. Besteht ein Kind beide Tests nicht, wird es an einen lokalen Audiologen überwiesen. Am Ende der Session werden alle Ergebnisse in eine Cloud geladen, die Eltern erhalten die kompakten Informationen per Textnachricht. Die Verfügbarkeit aller Infos in der Cloud macht auch die Nachversorgung sehr effizient, da auch die Audiologen über eine Datenbank Zugriff auf alle Daten haben. Und wenn das staatliche Gesundheitsprogramm nicht rechtzeitig eigene Hörgeräte für die Kinder bereitstellen kann, bekommen sie zwischenzeitlich leihweise Hörgeräte von der Hear the World Foundation.

Tatsächlich tragen die meisten Kinder am Carel du Toit Centre schon ein Hörgerät - die südafrikanische Regierung stellt jedem bedürftigen Kind unter sechs Jahren eines zur Verfügung. Der Haken: “Viele dieser Geräte sind zweitklassig”, sagt Susann Ecksteen, Projektleiterin am Zentrum. Heisst: Sie reichen nicht, um richtig gut zu hören und somit auch nicht, um deutlich sprechen zu lernen. “Deshalb sind wir auch sehr dankbar für Spenden“, sagt Ecksteen. So wird sichergestellt, dass bedürftige Kinder so früh wie möglich mit Hörgeräten versorgt sind und ihre Entwicklung nicht durch lange Wartezeiten gebremst wird. Rund 150 neue Phonak-Hörgeräte werden von der Hear the world Foundation bereitgestellt. Sie helfen insgesamt 88 Kindern, die entweder auf einem Ohr oder beidseitig Hörverlust haben, besser zu hören und sprechen zu lernen.

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Unterstützt wurde der Einsatz der Sonova Mitarbeitenden für das Hilfsprojekt der Hear the World Foundation in Südafrika durch einen prominenten Begleiter, den neuen Hear-the-World-Botschafter und Singer-Songwriter Gregor Meyle. Meyle, 39, ist seit Jahren erfolgreich auf deutschen Bühnen unterwegs. Bei jährlich etwa hundert Live-Auftritten in Clubs, Stadthallen und auf grossen Open-Air-Bühnen hat er es mit seinen poetischen Songs in die Top Ten der deutschen Album-Charts geschafft. Musik bedeutet ihm alles, deshalb ist ihm auch gutes Hören so wichtig: „Für mich ist mein Gehör das wichtigste Werkzeug, ich wüsste nicht, wie ich es ohne diesen Sinn schaffen könnte. Deshalb ist es mir eine Herzensangelegenheit, die Arbeit der Hear the World Foundation zu unterstützen.“

Als Meyle bei seinem ersten Botschafter-Einsatz in Südafrika anfing, auf seiner Gitarre zu spielen, fingen die Kinder an zu strahlen und zu tanzen. Mit seiner ansteckenden Leidenschaft und Freude an der Musik hat es Meyle geschafft, die Kinder mit Hörverlust zu motivieren, auch ihr Sprachvermögen weiter zu trainieren – und ihnen damit Hoffnung für ihre Zukunft zu geben.

Damit das Projekt langfristig erfolgreich ist, sammelt das Team in Zusammenarbeit mit der Universität Pretoria systematisch Daten aus der App. Mit den Forschungsergebnissen will das Team die südafrikanische Regierung von der Bedeutung des Projekts überzeugen – zeigen, wie wichtig es ist, Kindern eine altersgerechte Entwicklung zu ermöglichen.