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Hören wird für das Gehirn im Alter anstrengender

Eine von Sonova unterstützte weltweit einzigartige Studie an der Universität Zürich kann erstmals Folgen eines altersbedingten Hörverlusts im Gehirn messen und sichtbar machen. Ergebnis: Das Gehirn braucht intensives Training, um bei einer Hörminderung mit Hörgeräten Sprache wieder besser zu verstehen.

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Mit zunehmendem Alter baut der menschliche Körper ab. Das ist ein ganz normaler Vorgang, der bei jedem Menschen stattfindet. Dieser Alterungsprozess betrifft auch das Gehör. Deshalb brauchen viele ältere Menschen eines Tages ein Hörgerät. Früher führte man den altersbedingten Hörverlust ausschliesslich auf einen äusseren Verschleiss im Innenohr, in der Cochlea, zurück. Neuerdings hat sich in der Wissenschaft die Erkenntnis durchgesetzt, dass auch das Gehirn durch den normalen Alterungsprozess Sprache schlechter verarbeiten kann. Verantwortlich hierfür ist eine dünnere Hörrinde im Hirn älterer Menschen.

Eine Gruppe von Neuropsychologen der Universität Zürich hat nun in einer weltweit einmaligen Studie, welche in enger Zusammenarbeit mit Sonova durchgeführt wurde, altersbedingten Hörverlust im Gehirn untersucht und sichtbar gemacht. „Wir wollten wissen, wie das Gehirn im Alter Sprache verarbeiten kann und dies auch wieder lernen kann, vor allem dann, wenn die Person eine Hörminderung entwickelt hat und Hörgeräte trägt“, sagt Nathalie Giroud, Doktorandin für Neuropsychologie an der Universität Zürich.

 

In der zweieinhalb Jahre dauernden Studie* hat Giroud untersucht, wie gut und wie schnell ein Gehirn im Alter lernen kann. Girouds Forschung ist insofern weltweit einmalig, als dass es erstmals gelungen ist, die Anstrengungen, welche das Hirn unternimmt, um auf Sprache zu reagieren, in einer Langzeitstudie wissenschaftlich zu messen. Dazu wurden 45 ältere und 15 jüngere Probanden ausgewählt und über mehrere Wochen in wiederkehrenden Abständen einem Hörtest unterzogen. In der Gruppe der älteren Testpersonen befanden sich sowohl Hörgeräteträger wie auch Menschen ohne Hörverlust.

Alle Probanden mussten im Hörtest verschiedenste Silbenpaare unter zum Teil erschwerten Bedingungen voneinander unterscheiden, wie zum Beispiel „Ascha“ und „Afa“. „Da sich die Silben in einem hohen Frequenzbereich nur in einem Laut, nämlich „sch“ und „f“, unterscheiden, ist diese Differenz für ältere Menschen mit Hörverlust nur mit grosser Mühe festzustellen“, erklärt Giroud. 256 Elektroden an der Kopfhaut leiteten die Gehirnströme weiter und wurden in einem EEG (Elektroenzephalographie) digitalisiert. „So konnten wir sehen, wie hoch die neuronale Anstrengung war, das heisst wie viele Gehirnzellen jede Testperson aktivieren musste, um den Unterschied der Silben zu registrieren“, erläutert Martin Meyer, Professor für Neuroplastizität an der Universität Zürich. Als Doktorvater von Nathalie Giroud hat er ihre Studie betreut.

In der Langzeituntersuchung zeigte sich, dass bei den jungen Menschen, das Gehirn immer weniger Aufwand betreiben musste, um den Unterschied herauszuhören. Bei den älteren Testpersonen ohne Hörverlust mussten bereits mehr Gehirnzellen aktiviert werden. In der Gruppe der Probanden mit Hörverlust wiederum war die Anstrengung im Gehirn noch deutlicher erkennbar. Als weiteres Ergebnis konnte nachgewiesen werden, dass sich während der dreimonatigen Untersuchung  alle Teilnehmer ihre Leistungen im Hörtest verbessern konnten.

„Dynamics of Electrophysiology and Morphology in Older Adults with Age-Related Hearing Loss“

Die Studie ist bei Fachzeitschriften zur Publikation eingereicht worden.

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Nathalie Giroud bereitet einen der Probanden auf den Hörtest vor: Der 64-jährige Bauingenieur Fritz Jäckli hört noch ohne Hörgerät sehr gut. Für ihn aber hat die Teilnahme an der Studie eine wichtige neue Erkenntnis gebracht: „Sollte ich jemals feststellen, dass ich schlechter höre, dann werde ich sicher nicht lange mit einem Hörgerät warten.“

„Die wichtigste Erkenntnis der Studie aber ist, dass bei älteren Menschen mit Hörverlust, die neu ein Hörgerät bekommen oder auch einen Hörgerätewechsel vornehmen, das Gehirn ungefähr zwölf Wochen intensives Training braucht, um wieder annähernd gleich gut Sprache verarbeiten zu können“, sagt Giroud. Und intensives Training bedeute, das Hörgerät über den ganzen Tag, mindestens zwölf Stunden zu tragen, fügt sie hinzu. „Viele Menschen mit Hörverlust denken, ein Hörgerät hilft ihnen unmittelbar, aber es braucht eben einen langen Atem“, erklärt die Doktorandin. Erstmals konnte mit der Studie eine Erkenntnis, die Hörakustiker und Audiologen bereits aus ihrem Alltag kennen, nun wissenschaftlich gemessen und belegt werden. „Damit ist nun klar, dass wir Hörverlust neu definieren müssen und nicht mehr ausschliesslich auf einen altersbedingten Schaden im Innenohr reduzieren können“, so Nathalie Giroud.

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Nathalie Giroud bei der Auswertung der Testergebnisse. In diesem anspruchsvollen Forschungsbereich sind besonderes Knowhow und Erfahrung notwendig.

Für Stefan Launer, Senior Vice President Science & Technology von Sonova sind die Studienergebnisse sehr wichtig: „Die Mitarbeitenden unseres Forschungsprogramms Kognitive Audiologie haben das Studienteam in den letzten Jahren mit ihrer Expertise intensiv unterstützt. Die gesicherte Erkenntnis, dass auch ein alterndes Gehirn das Verständnis von Sprache wieder erlernen kann, ist für uns von grosser Bedeutung. Hören und Verstehen findet nicht nur mit den Ohren, sondern insbesondere im Gehirn statt. Wie wir Menschen mit Hörverlust darin unterstützen können, wieder zu verstehen, ihre kognitiven Fähigkeiten zu erhalten und aktiv am Leben teilzuhaben - interessiert uns brennend.“ Deshalb hat Sonova die Langzeitstudie auch mehrheitlich finanziert sowie die Hörgeräte zur Verfügung gestellt und angepasst. Zusammenfassend erklärt Stefan Launer: „Die enge Zusammenarbeit und der kontinuierliche Austausch mit dem Studienteam hat uns sehr geholfen. In diesem anspruchsvollen Forschungsbereich ist man auf die ausserordentliche Expertise und Erfahrung von Wissenschaftlern wie Martin Meyer und Nathalie Giroud angewiesen.“